Beitrag vom 18.01.2023

Wie gelingt der Transfer von innovativen Ideen zu erfolgreichen Spin-Offs?


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Foto Ralf Dahm: IMB, Thomas Hartmann | Foto Helia Schönthaler: Robert-Bosch-Krankenhaus, Christoph Schmidt

Wir fragen zwei Expert*innen: Dr. Helia Berrit Schönthaler vom Robert Bosch Health Campus in Stuttgart und Dr. Ralf Dahm vom Institut für Molekulare Biologie gGmbH (IMB) in Mainz.

Sie arbeiten mit Wissenschaftler*innen zusammen, die ihre ganze Energie in die Forschung stecken. Wo sehen Sie vor diesem Hintergrund die Motivation, ein Unternehmen zu gründen?

Für Wissenschaftler*innen kann es sehr befriedigend sein zu sehen, wie ihre Forschungsergebnisse angewendet werden und etwas entsteht, das das Leben von Menschen konkret verbessert, z. B. eine neue Therapie oder eine umweltfreundliche Technologie. Auch sind für viele Gründer die Freiheiten und finanziellen Möglichkeiten einer Firma reizvoll, die oft andere Herangehensweisen und eine höhere Geschwindigkeit zulassen, als das im akademischen Bereich möglich ist. 

Für viele, die jahrelang für andere gearbeitet haben, kann es zudem befreiend sein, endlich der/die eigene Chef*in zu sein. Schließlich kann man mit einer eigenen Firma, wenn es gut läuft, auch mehr Geld verdienen, als das als Angestellte*r möglich ist. So haben die Gründer der MYR GmbH, die 9 Jahre lang eine Therapie für Hepatitis D Infektionen entwickelt haben, ihre Firma in 2021 für 1,15 Milliarden Euro an Gilead verkauft. In unserer Erfahrung spielt die Motivation Geld zu machen, aber keine große Rolle und es kann für den Erfolg eines Startups sogar ein echter Nachteil sein, wenn es den Gründer*innen zu sehr darum geht, finanziell zu profitieren.

Was sind aus Ihrer Sicht Gründe, weshalb ein Institut Forschende bei der Gründung eines Spin-Offs unterstützen sollte – Was sind hier die Mehrwerte für das Institut?

Die Umsetzung von Erkenntnissen in greifbare Produkte oder Services, von denen die Gesellschaft profitiert, ist auch für Institute und Universitäten ein wichtiges Ziel. Natürlich freuen sich beispielsweise die Universität und das Universitätsklinikum Mainz sehr darüber, dass die BioNTech SE aus ihnen hervorgegangen ist. Solche Gründungen tragen zum Renommee einer Institution bei. Sie zeigen aber auch, wie wichtig Forschung ist, die ja durch unsere Steuergelder finanziert wird, und dass man über einen erfolgreichen Transfer etwas an die Gesellschaft zurückgeben kann. Nicht umsonst ist im sog. Universitätsgesetz auch geregelt, dass Universitäten die Aufgabe haben, Forschungsergebnisse in die Anwendung zu bringen und den Wissens- und Technologietransfer zum Wohl der Gesellschaft zu fördern.

Wichtig ist auch, dass etliche Projekte sich in einem akademischen Kontext gar nicht realisieren lassen, z. B. weil man nicht die Strukturen aufbauen oder die Gelder einwerben kann, die hierfür benötigt werden. Über Ausgründungen können Universitäten dies dann doch möglich machen. Schließlich können Universitäten über erfolgreiche Ausgründungen auch ein erhebliches Einkommen generieren und Karriereperspektiven für ihre Mitarbeiter*innen schaffen. Wenn es gut läuft, können Ausgründungen sogar zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor für ganze Regionen werden und erheblich dazu beitragen, Arbeitsplätze zu schaffen.

Gibt es an Ihren Instituten Programme zur Unterstützung von Spin-Offs, z.B. finanzielle Unterstützung, Unterstützung durch Netzwerke, Nutzung von Institutsressourcen oder Übertragung von IP (Intellectual property)?

Generell lässt sich sagen, dass für eine erfolgreiche Startup-Kultur an einer Universität eine ganzheitliche Begleitung von (potentiellen) Gründer*innen und ihren Projekten nötig ist. Das beginnt mit Scouting, also der proaktiven Suche nach vielversprechenden Erfindungen durch Technologie-Transfer-Expert*innen, über den Schutz der Erfindung, z. B. durch Patentierung, bis hin zur Verwertung durch Lizensierung oder eben die Gründung eines Startups. Viele Forscher wissen oft gar nicht, dass sie etwas kommerziell Interessantes gefunden oder entwickelt haben und, wenn das klar ist, wie man es erfolgreich schützt und ein marktfähiges Produkt entwickelt.

Gerade bei einer Ausgründung ist in der Regel enorm viel Unterstützung notwendig. Ein Unternehmen zu gründen ist etwas völlig anderes, als eine Forschungsgruppe zu leiten und die wenigsten Wissenschaftler*innen haben die Expertise, die man dafür braucht. Hier können die Universitäten viel tun, indem sie Gründer*innen an die Hand nehmen, sie coachen, mit Expert*innen zusammenbringen und durch den Gründungsprozess führen. Gründer*innen aus dem akademischen Bereich brauchen oft Unterstützung dabei, wie man aus einer Erfindung ein konkretes Produkt entwickelt und um abzuschätzen, wie interessant dieses Produkt kommerziell ist, d.h. wie groß der Markt und der Bedarf für dieses Produkt ist. Wenn das erfolgt ist, muss ein solider Business-Plan und eine überzeugende Pitch-Präsentation erstellt werden, um an potentielle Geldgeber*innen herantreten zu können. Auch hierbei ist Unterstützung wichtig.

Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Netzwerke, die eine Universität ihren Gründer*innen zur Verfügung stellen kann—v.a. Netzwerke aus Expert*innen, die die Gründer*innen beraten, und Business Angel / Venture Capitalist (VC) Netzwerke, über die Gründer*innen Zugang zu Geldern bekommen. Für Gründungsinteressierte ist es oft unmöglich zu beurteilen, welche Expertise sie wann benötigen und welche der vielen Expert*innen sie kompetent unterstützen können. Hier ist die Einschätzung der Institution, die ja in der Regel schon Erfahrungen mit vielen Expert*innen und in verschiedenen Kontexten gesammelt hat, ungemein wertvoll.

Und ein vollumfängliches, individuell auf die Bedarfe der jeweiligen Gründung abgestimmtes Coaching macht Gründer*innen signifikant schneller, effizienter und effektiver. Gerade potentielle Investor*innen reagieren oft deutlich besser auf professionell gecoachte Gründer*innen. So ergeben sich beispielsweise bei den Investor*innen weniger bzw. keine Rückfragen, wenn sie die Business-Idee validieren, weil ein professioneller Pitch ihre Fragen bereits beantwortet und ein konsequent durchdachtes Projekts signalisiert. Effektives Coaching ist somit nicht nur ein ganz entscheidender Erfolgsfaktor, sondern auch ein klarer Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz.

Nicht zuletzt können Institutionen ihre Gründer*innen auch unterstützen, indem sie ihnen für eine gewisse Zeit Ressourcen zur Verfügung stellen—Räume, Laborausstattung, administrative Unterstützung etc.—, für die am Anfang noch keine Gelder eingeworben werden konnten.

Was macht aus Ihrer Sicht erfolgreiche Teams aus, bzw. was macht Teams erfolgreich?

Das Team ist in vielen Kontexten der wichtigste Erfolgsfaktor überhaupt. Deshalb sollte man von Anfang an darauf achten, ein Team zusammenzustellen, das sich so komplementiert, dass alle wichtigen Bereiche, die ein Start-up braucht, abgedeckt sind. Hierzu zählen v.a. auch nicht-wissenschaftliche Themen wie Management, Organisation, Kommunikation und Finanzen. Dabei muss nicht jeder im Team zu 100% für das Unternehmen arbeiten. Einige können auch mit einer Nebentätigkeit oder als Berater*innen dabei sein.

Aber nicht nur fachliche Kompetenzen und Erfahrung sind essentiell. Bei Start-ups kommt es immer wieder zu unerwarteten Problemen, Verzögerungen und Rückschlägen. Das kann schnell dazu führen, dass man den Schwung und die Hoffnung verliert und aufgibt. Ein gutes Team unterstützt und motiviert sich gegenseitig und findet kreative Lösungen. Wichtig ist vor allem, dass das Kernteam aus Leuten besteht, die sehr motiviert, resilient und echte Macher*innen sind. Diese sollten eine Unternehmenskultur etablieren, die geprägt ist von gutem Leadership mit Wertschätzung, Vertrauen, Fehlertoleranz sowie transparenter Kommunikation. Auch braucht man einen guten Mix aus Personen, die eine klare Vision und Strategie für das Unternehmen entwickeln und das „big picture“ im Auge behalten, und solchen, die sich um die Details kümmern und darauf achten, dass die Strategie auch effektiv umgesetzt wird.

Meistens braucht man viele Menschen, damit ein Startup zu einem erfolgreichen Unternehmen wird. Da diese meistens etwas von ihrem Engagement haben wollen, ist es wichtig, dass man die Erwartungen effektiv managt. Viele schätzen ihren Beitrag zum Erfolg eines Unternehmens zu hoch ein und Startups können daran scheitern, dass bestimmte Personen—oft Erfinder*innen—unrealistisch viele Anteile fordern. In diesen Situationen ist es wichtig zu vermitteln, dass ein kleineres Stück von einem Kuchen, der verspricht sehr zu groß werden, besser ist, als ein großes Stück von einem Kuchen, der vielleicht nie gegessen wird.

Die Finanzierung von Spin-offs aus dem Biotech-Bereich ist besonders herausfordernd. 
Wie kann sie gelingen und wo sollte sie ansetzen?

In der Biotechnologie, und hier v.a. im biomedizinischen und Medtech Bereich, dauert es lange, neue Produkte zu entwickeln und zuzulassen. Biologische Systeme wie der Mensch sind sehr komplex. Deshalb kann viel Unerwartetes passieren, wenn man ein neues Produkt entwickelt und es dauert in der Regel entsprechend. Das bedeutet unmittelbar, dass Projekte in der Biomedizin häufig sehr viel mehr kosten, als in anderen Bereichen, v.a. wenn klinischen Studien gemacht werden müssen. Das ist für viele Geldgeber*innen—v.a. öffentliche—nicht leistbar und denen, die sie finanzieren könnten, ist häufig das Risiko zu hoch. Das erzeugt eine Lücke—das sog. Valley of Death—, in der viele Projekte „sterben“, weil der nächste Schritt nach vielversprechenden anfänglichen Ergebnissen zu groß ist und nicht finanziert werden kann. Das ist leider ein Problem, das sich ohne ein signifikantes Umdenken bei öffentlichen und vielen privaten Investor*innen nicht einfach lösen lässt.

Unabhängig davon ist aber die Grundlage jeder erfolgreichen Finanzierung ein sehr solides Business-Konzept, das klar darlegt, wie mit dem zu erwartenden Produkt Geld verdient werden kann—denn darum (und meist nur darum) geht es den Investor*innen letztendlich. Wichtig hierbei ist, wie hoch der Aufwand ist, um das Produkt zu entwickeln und an den Markt zu bringen, wer die Entwicklungspartner sind, wie groß der Markt für das Produkt ist und zu welchem Preis (verglichen zu den Produktions- und Vertriebskosten) es abgesetzt werden kann. Auch muss eine Risikoanalyse, einschließlich einer Betrachtung der konkurrierenden (oder substituierenden) Produkte und Firmen vorgenommen werden. Darauf basierend muss ein Pitch erstellt werden, der mögliche Geldgeber*innen vom Team, der Umsetzbarkeit der Idee und—v.a. bei klassischen VC-Investoren–ihrem ROI (return on investment) überzeugt. Insbesondere bei der Pitch und der Investorenansprache benötigen Gründer*innen aus dem akademischen Bereich oft Coaching, da es nicht vorranging um ihre Wissenschaft, sondern vielmehr um wirtschaftliche Aspekte geht und man mit Personen interagiert, die eine ganz andere Sprache sprechen.

Haben Sie Tipps für die Gründungsteams aus Kassel?

Ja. Wissenschaftler*innen sind oft sehr gut in dem, was sie tun (forschen). Aber kaum eine*r kann alles, was man braucht, um erfolgreich ein Produkt zu entwickeln und eine erfolgreiche Firma auf die Beine zu stellen. Holen Sie sich von Anfang an kompetente Expertise von außen—kompetente Berater*innen, die Ihnen beibringen, wie man einen Business Case schärft und einen Business Plan erstellt, wie man seine Idee pitcht und Investor*innen dafür begeistert, wie man eine Firma aufbaut und die richtigen Leute dafür identifiziert, die komplementäre Expertise und Fähigkeiten mitbringen, und sie für sich gewinnt. Stellen Sie sich darauf ein, dass sie einen langen Atem brauchen, lassen Sie sich nicht von Rückschlägen entmutigen, denken Sie kreativ, seien Sie offen für Rat (und lernen Sie, welcher Rat gut ist). Und stellen Sie ein starkes Team zusammen, das gut zusammenarbeitet auch wenn es hart wird, und führen Sie es gut. Wir wünschen Ihnen auf jeden Fall viel Erfolg!

von Gabriele Hennemuth