Beitrag vom 02.06.2023

Social Entrepreneurship - Spagat zwischen Wirkung und Wirtschaft


Teaser

Interview mit Birgit Heilig vom SEND e.V. aus dem Science Park Magazain / Herbstausgabe 2022
von Gabriele Hennemuth

Sie engagieren sich schon sehr lange für Social Startups, also Unternehmen, deren primäres Ziel die Lösung von gesellschaftlichen oder ökologischen Herausforderungen ist. Woher kam die Motivation?

Zu dem Thema kam ich 2014 eher zufällig über meinen jetzigen Kollegen Michael Wunsch. Nachdem ich einen sehr frustrierenden Job in der Logistik geschmissen hatte, wo es immer nur um die Frage ging, wie man den Kunden noch einen Euro mehr aus der Tasche ziehen kann, hat mich das Konzept von Gründungen mit gesellschaftlichem Mehrwert sehr angesprochen. Die Trennung von Ehrenamt für „Gutes tun“ und Erwerbsarbeit fürs Geldverdienen erschien mir zu starr.
Mit unterschiedlichen Projekten und Konzepten haben wir versucht, Social Entrepreneurs bekannter zu machen, Gründungen methodisch weiterzuentwickeln und auch politisch und öffentlich mehr Sichtbarkeit für diese Art von Unternehmertum zu generieren.  
U.a. haben wir zwei Jahre lang als Leitung des Social Impact Lab Frankfurt mehrere Gründerkohorten bei ihren ersten Schritten begleitet und 2017 mit einer Gruppe Gleichgesinnter das Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland gegründet, den ersten Bundesverband zu dem Thema.
Nachdem Anfang 2020 aufgrund der beendeten Förderung der Gründungsprogramme für Social Entrepreneurs im Frankfurter Lab eine Lücke entstanden war, konnten wir das hessische Wirtschaftsministerium für ein landesweites Nachfolgeprogramm gewinnen und die Lücke schließen. Der Sozialinnovator Hessen läuft jetzt seit knapp 2,5 Jahren und ist ein wichtiger Baustein in der hessischen Gründungslandschaft.

Welche Themen sind Ihnen besonders wichtig? Wo liegt ein Fokus Ihrer Arbeit?

Als Leiterin des Sozialinnovators Hessen steht im Fokus, Gründer*innen in Hessen gute Rahmenbedingungen für die Gründung zu bieten. Derzeit haben wir unterschiedliche Beratungsangebote für spezifische Themen, strategisches begleitendes Coaching und Co-Working-Plätze im Angebot. Darüberhinaus ist mir eine thematische Stärkung in der aktuellen Gründungsberatung wichtig. Wir möchten keine neue Infrastruktur aufbauen, sondern das Thema an bestehenden Gründungszentren, Gründungsbüros und in anderen Institutionen fest verankern. Derzeit ist es noch immer so, dass Social Entrepreneurs mit einigen spezifischen Fragestellungen bei den „klassischen“ Gründungsberatungen immer noch auf Unverständnis stoßen oder dort einfach noch das Wissen für bestimmte Themen fehlt. Dies wollen wir ändern durch Schulung, Vernetzung, enge Zusammenarbeit, um gezielte Anlaufstellen zu schaffen, an die die Gründer*innen sich wenden oder zumindest weitergeleitet werden können.

Derzeit bestehen gute Aussichten, dass der Sozialinnovator Hessen um weitere zwei Jahre verlängert werden könnte. In diesem Fall wäre neben der Gründungsberatung eine vertiefende Festigung bei bestimmten regionalen Akteur*innen von zentraler Bedeutung – Ziel ist es, dass Social Entrepreneurship selbstverständlicher Teil der hessischen Gründungsszene wird und genau so seinen Platz findet, wie z.B. FinTech-Startups. 

Social Startups widmen sich gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen, wie Klimawandel, Ressourcenverknappung, demographischem Wandel oder Mobilität und versuchen, diese Herausforderungen auf unternehmerische Art zu lösen. Wieso sind Sie der Meinung, dass Social Startups die Probleme unserer Zeit besonders gut lösen können?

Social Startups bringen eine andere Haltung mit: es geht nicht um Profitmaximierung, sondern um die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen – von denen wir nicht wenige haben. Die unternehmerische Herangehensweise ist ein interessantes und spannendes Gegenstück zu den Maßnahmen von staatlicher Seite. Aufgrund aufwendiger bürokratischer Regelungen sind staatlichen Akteur*innen in mancher Hinsicht einfach die Hände gebunden bzw. Vorlaufzeiten sind sehr lang, Gestaltungsspielräume eng. Insbesondere das Startup-Prinzip des schnellen Ausprobierens und Anpassens von Konzepten passt mit staatlichen Strukturen überhaupt nicht zusammen. Hier könnte man sehr gute Kooperationen eingehen: die Social Entrepreneurs sind meist nah an der Zielgruppe bzw. an den Betroffenen dran, sie sind durch weniger Vorgaben gebunden und können unterschiedliche Konzepte testen, bevor ein einziges mit großem Aufwand durchgeplant, ausgerollt und nach kurzer Zeit wieder verworfen werden kann. Durch diese schnelleren Adaptionsphasen können die Lösungen Schritt für Schritt und passgenauer durchgeführt werden, lassen mehr Raum für Impulse aus verschiedenen Bereichen, für interessante Kooperation und fördern dadurch innovative Lösungen, die, einmal erprobt, dann zusammen mit anderen Akteur*innen breit skaliert werden können.  

Dazu kommt der systemische Blick. Da im Controlling nicht nur die Finanzen im Auge behalten werden müssen, sondern auch die Wirkung, also die Effektivität der durchgeführten Maßnahmen hinsichtlich der zu lösenden Herausforderung, entsteht eine wesentlich breiter gefächerte Zielsetzung als bei rein wirtschaftlich orientierten Startups. Dieser Spagat zwischen Wirkung und Wirtschaft ist für Social Entrepreneurs besonders herausfordernd, ermöglicht ihnen aber eine systemische Perspektive auf ihre Unternehmung. Im Grunde würde, im besten Falle, ein Social Entrepreneur sich obsolet machen, weil die gesellschaftliche Herausforderung gelöst wurde.  

Die Schnelligkeit, Flexibilität, die Nähe zur Betroffenengruppe, die „Macher“qualität und die Fähigkeit, mit wenigen Mitteln möglichst effizient und effektiv zu arbeiten, und die systemische Perspektive – das sind die Qualitäten, die Social Entrepreneurs auszeichnen.

Durch Corona und die aktuelle wirtschaftliche Lage ist es für junge Startups nicht einfach Frühphasenfinanzierung zu akquirieren. Social Startups sind davon besonders stark betroffen. Was raten Sie den Teams?

Leider sind in dieser Hinsicht die Zeiten nicht besser geworden. Auf der einen Seite zwei Jahre Corona, die für viele Social Enterprises einen Einbruch oder Stopp ihrer Tätigkeiten bedeuteten und nun, gerade als es wieder zurück in den „Normalmodus“ zu gehen schien, die steigenden Preise und auch wesentlich höheren Ausgaben auf öffentlicher Seite.  
Bedauerlich ist insbesondere, dass die Frühphasenfinanzierung von Social Entrepreneurs in Deutschland immer noch nicht signifikant weitergekommen ist. Es gibt zunehmend mehr nicht-monetäre Unterstützungsprogramme, aber passgenaue Frühfinanzierung wie ein dezidiertes Gründungsstipendium fehlt vielerorts noch.
Gleichzeitig sind genau diese Phasen jene Situationen, in den (Sozial-)Unternehmer*innen besonders kreativ werden – Not macht bekanntlich erfinderisch! Ich denke, dass viele der oben genannten Stärken von Social Entrepreneurs auch jetzt zum Zuge kommen können – und dass eines der Kernelemente, nämlich Kooperation, Bildung von Allianzen, das Nutzen von Synergieeffekten auch hinsichtlich von Ressourcen noch stärker an Bedeutung gewinnen wird.  

Sie sind auch politisch tätig. Was wünschen Sie sich, damit Sozialunternehmen finanziell besser unterstützt werden?

Ich habe in den letzten 1,5 Jahren mit der Politik in verschiedenen Bundesländern Gespräche rund um das Thema Social Entrepreneurship und auch Soziale Innovation geführt. Positiv zu vermerken ist, dass die Themen bundes- wie landespolitisch an Beachtung und Bedeutung gewinnen, sich mehr Politiker*innen und auch die Verwaltung damit auseinandersetzen und allmählich die Chancen und Potenziale erkennen. Wofür noch kein Platz ist, ist der Spagat zwischen Gewerbe und Gemeinnützigkeit. Viele Social Entrepreneurs sind hybrid aufgestellt, führen sogar zwei Rechtsformen und trotz einer zunehmenden Anerkennung ihrer Arbeit gelten sie weder als Fisch noch Fleisch. Es zeichnen sich unterschiedliche Tendenzen ab, dass sich auf der einen Seite die Wirtschaftsministerien für die gewerblich orientierten Social Entreprises interessieren und einsetzen und die (teils) gemeinnützigen bei den Sozialministerien Anklang finden. Auch auf Bundesebene ist die Zweiteilung zu finden. Zwar ist diese Aufteilung aufgrund der bestehenden Vorgaben und Aufstellungen nachvollziehbar, ich würde mir im Sinne einer breit angelegten Strategie allerdings mehr ressortübergreifende Zusammenarbeit wünschen. Erst dadurch können auch Instrumente geschaffen werden, die den spezifischen Anforderungen von Social Entreprises in ihrer ganzen Bandbreite gerecht werden.

Mehr Informationen unter www.send-ev.de