Beitrag vom 18.03.2024

Als Expert*in verständlich bleiben


Teaser

Gastbeitrag von Anja Pawliczek

Ich bin Anja Pawliczek und beschäftige mich seit 2016 innerhalb meines Germanistik-Studiums mit dem Schwerpunkt Sprachwissenschaft. Meine Erkenntnisse nutze ich seit 2017 in den Bereichen Marketing sowie digitale Kommunikation unter anderem im Social Media Management des Science Parks. Im Zuge meines Studiums entstand 2018 eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema „Sprachliche Kennzeichen von Expertentum im Verhältnis zur Bildungssprache“, deren Ergebnisse sich meiner Meinung nach durchaus als wertvoll für angehende Startups und ihre Kund*innenansprache erweisen können.

 

Jede*r kennt dieses Phänomen: Eine Person redet sehr lange und eingehend über ein Thema und benutzt dabei große Worte und Fachsprache. Am Ende der Ausführungen muss man als Zuhörer*in aber feststellen: Nur wenig Inhalt wurde vermittelt. Häufig merkt man es als Sprecher*in sogar nicht, wann man in diese kommunikative Falle tappt, und seine Zuhörerschaft verliert.

Die Sprachwissenschaft beschäftigt sich unter anderem damit, wie wir als Menschen Sprache nutzen und wie sie wirkt. Dabei ist klar: Die Wahl unserer Worte und deren Wirkung reicht weit über einen rein inhaltlichen Austausch hinaus. Sprache und Wortwahl entscheiden darüber, wie wir wahrgenommen werden, drückt unsere Beziehungen zu anderen Menschen aus, offenbart unsere Selbstwahrnehmung und kann gezielt Bilder im Kopf der Zuhörenden erzeugen. 

Sprache ist deswegen auch in der Welt der Startups und des Marketings ein wichtiges Werkzeug, um die eigenen Botschaften und Ideen ideal vermitteln zu können. Unternehmer*innen müssen beispielsweise ihre Produkte verständlich erklären können, um Kund*innen zu gewinnen. Gleichzeitig entscheidet die Kund*innenansprache darüber, wie viel Sympathie und Offenheit dem Unternehmen entgegengebracht werden. 

Dementsprechend ist es immens wichtig, sich als Expert*in eines Fachgebiets bewusst zu machen, wie man mit der eigenen Sprache umgeht, um die gewünschten Zielgruppen zu erreichen und gleichzeitig die eigene Expertise unter Beweis zu stellen. In meiner wissenschaftlichen Arbeit habe ich mich deswegen damit beschäftigt, wie Wissen ideal vermittelt werden kann, ohne dabei in übermäßige und unverständliche Fachsprache abzurutschen.

 

Ist Fachsprache gleich Expert*innensprache?

Intuitiv könnte man meinen, dass sich Expert*innen durch die Nutzung von Fachsprache auszeichnen. Dies scheint ein naheliegender Weg zu sein, den Umfang des eigenen Wissens und ein hohes Maß an Kompetenz auszudrücken. Immerhin gibt es durchaus Kontexte, in denen die Nutzung von starker Fach- und Bildungssprache angebracht ist und sogar erwartet wird.

Das Problem entsteht jedoch, wenn es darum geht, Informationen an fachfremde Personen weiterzugeben. Fachsprache kann nämlich gleichzeitig ein Teil eines sogenannten Soziolekts sein. Das bedeutet, sie wird nur von einer bestimmten sozialen Gruppe gesprochen und verstanden. Fachsprache kreiert also eine sogenannte Ingroup (eine in sich geschlossene soziale Gruppe) mit meist hohem Bildungsstand, die die Fachsprache versteht und eine Outgroup, die durch Sprachbarrieren aus der Gruppe ausgeschlossen wird. 

Ist man erst Teil der Ingroup und bewegt sich viel in Fachkreisen, passiert es schnell, dass man den Blick dafür verliert, was allgemeinverständlich ist und was nicht. Man ist gewohnt Fachsprache zu hören, zu sprechen und dabei verstanden zu werden. Wenn Adressat*innen oder Kund*innen zur Outgroup gehören, ist der kommunikative Misserfolg jedoch bereits vorprogrammiert.

Patient*innen im Krankenhaus muss beispielsweise weder jeder einzelner Arbeitsschritt einer OP erklärt werden, noch müssen sie unbedingt die Fachbegriffe kennen. Sie sind jedoch darauf angewiesen, dass das medizinische Fachpersonal dazu imstande ist, ihnen verständlich zu vermitteln auf welche Art ihnen geholfen werden kann. Das Personal verliert durch eine allgemeinverständliche Erklärung nicht den Expert*innenstatus. Genauso verhält es sich im Grunde mit Kund*innen und Geschäftsmodellen.

 

Expertise durch Einfachheit

Wahre Expert*innen haben ihr Themengebiet so gründlich verstanden, dass sie es, wenn nötig, aus der Fach- in die Alltagssprache übertragen können. Sie können auswählen, welche Inhalte für die jeweiligen Adressat*innen wichtig sind, um überflüssige Details zu vereinfachen oder ganz auszulassen. 

Sich im richtigen Moment einfach auszudrücken, birgt viele Vorteile. Erst wenn Kund*innen das Produkt wirklich verstehen, können sie einschätzen, ob sie es überhaupt brauchen. Durch Alltagssprache kommuniziert man außerdem mehr auf Augenhöhe, was den Grundstein für Sympathie legt. Berührungsängste und wahrgenommene Hürden werden so innerhalb kürzester Zeit abgebaut. Diese Kombination aus Sympathie und Verständlichkeit ist ein idealer Weg, um Kund*innen, neue Bewerber*innen, Teilnehmende und andere Kolleg*innen für sich zu gewinnen.

Die Angst dadurch automatisch inkompetent zu wirken, ist unbegründet. Solange man sich inhaltlich richtig ausdrückt, vermittelt man weiterhin neues Wissen an die Zuhörerschaft und nimmt die Expert*innenrolle ein. Die Transferleistung, die bei der Umformulierung von Fachsprache in Alltagssprache stattfindet, ist sogar besonders anspruchsvoll und erfordert tiefes fachliches Wissen.  These meiner Arbeit ist dementsprechend, dass das Vermeiden von Fachsprache nicht nur essenziell für die Vermittlung von Inhalt, sondern auch ein umso größerer Ausdruck von Kompetenz sein kann. 

Fachsprache ist außerdem keine Garantie dafür, dass sich der*die Sprechende tatsächlich gut mit einem Thema auskennt, da Fachwörter auch unbemerkt falsch genutzt werden können. Durch ihre ausgrenzenden Charakteristiken kann übermäßige Fachsprache dazu verwendet werden, eigene Unsicherheiten und Wissenslücken hinter groß anmutenden Worthülsen zu verstecken. Vermeidet man Fachbegriffe, verzichtet man also auf diesen sprachlichen Schutzwall und lässt zu, dass mehr Menschen den eigenen Wissensstand beurteilen können.

 

Konzentriert euch auf‘s Ziel!

Reden Expert*innen über ihr Fachgebiet, so ist das eigentliche Kommunikationsziel meist nicht die Selbstdarstellung, sondern die Wissensvermittlung. Diese kann nur durch eine gute Verständlichkeit erzielt werden, damit die gesendete Botschaft überhaupt bei der Zielgruppe ankommt. Ansonsten kann es passieren, dass zwar viel gesagt wird, aber niemand etwas daraus mitnimmt.

Als Expert*in Alltagssprache zu verwenden, funktioniert und zahlt sich aus. Ein gutes Beispiel dafür ist der ehemalige NASA Robotiker Randall Munroe, der mit seinem erfolgreichen Sachbuch The Thing Explainer: Complicated Stuff in Simple Words Themen wie unser Sonnensystem, Erdplattentektonik und Zellbiologie erklärt. Dafür nutzt er ausschließlich die 1.000 meistgebrauchten Wörter der englischen Sprache. 
Und was hätte es den fachfremden Personen, die diesen Artikel lesen, gebracht, hätte ich meine wissenschaftliche Arbeit nicht auf Alltagssprache heruntergebrochen und mit Bezügen aufs alltägliche Leben angereichert?

Die Kunst liegt am Ende darin seinen Sprachmodus an die jeweilige Situation anpassen zu können. Dabei hilft es sich vor Präsentationen, Kund*innengesprächen, Websitetexten, Werbemaßnahmen und jedem anderen kommunikativen Akt darüber klar zu werden, welches Ziel man mit seiner Kommunikation verfolgt und ob die Adressat*innen zur fachlichen Ingroup oder Outgroup gehören. Dazu gehört auch, die eigene Sprache selbstkritisch zu betrachten und sich regelmäßig vor Augen zu führen welche Begriffe und Formulierungen, die einem selbst alltäglich erscheinen, in Wahrheit schon zum Ingroup-Soziolekt gehören. Man wird schnell feststellen: es sind mehr, als man erwartet. 

Deswegen ist mein abschließender Tipp als Sprachwissenschaftler an alle Expert*innen da draußen, die ihre Ideen kommunizieren wollen: Wenn ihr erklärt, was ihr tut, sprecht ihr nicht für euch, sondern für eure Adressat*innen. Also sprecht zielgruppenorientiert und beeindruckt Leute mit eurer Fähigkeit die komplexesten Themen für alle greifbar machen zu können. So erreicht ihr nachhaltig mehr Leute aus unterschiedlichen Kontexten und habt außerdem gute Chancen auf zusätzliche Sympathiepunkte, ohne dass an eurer Kompetenz gezweifelt werden kann. Macht Alltagssprache zu eurer Stärke.